In diesem Artikel geht es nicht um den Werbespruch des Landes Schleswig-Holstein, sondern um die Frage, wie die Lage des Nordpols bestimmt werden kann.
Dafür muss man sich zuerst einmal von seinem Schulwissen verabschieden, es gäbe den Nord- und den Südpol. Unterschieden werden nämlich gleich mehrere Pole: die Magnetpole, die geografischen Pole und die geomagnetischen Pole.
Der wahre Nordpol
Ein geografischer Pol ist der Punkt, an dem sich Erdachse und Erdoberfläche schneiden, genauer gesagt, an dem sich die Meridiane (Längenkreise) des Erdellipsoids schneiden. Für die Nordhalbkugel heißt dieser Punkt auch rechtweisend Nord bzw. True North. Der geografische Nordpol hat im geodätischen Bezugssystem WGS 84 die Koordinaten 90° 0′ 0″ N, 0° 0′ 0″ E. Da sich die Lage der Erdachse langfristig verlagert, verschiebt sich auch der geografische Nordpol, allerdings nur um wenige Millimeter pro Jahr.
Magnetischer Nordpol
Die magnetischen Pole der Erde sind die Punkte, an denen das Erdmagnetfeld senkrecht zur nominalen Oberfläche ausgerichtet ist. Eine freischwingende Magnetnadel würde an dieser Stelle also nach unten zeigen.
Da das Erdmagnetfeldes bekanntlich nicht nur inhomogen, sondern auch veränderlich ist, da es von den Bewegungen im flüssigen Erdkern abhängt, verändern die magnetischen Pole ständig ihre Lage. Sie wandern nicht nur mehrere Kilometer im Jahr, sondern taumeln auch innerhalb eines Tages um ihre Position. Manchmal schwächt sich das Erdmagnetfeld ab, bis es seinen Zweipolcharakter verliert, und baut sich anschließend wieder neu auf. Paläomagnetische Studien zeigen, dass die Pole dabei ihren Platz tauschen können.
Im physikalischen Sinn ist unser Nordpol derzeit ein magnetischer Südpol. Wer sich korrekt ausdrücken möchte, bezeichnet den Magnetpol der Nordhalbkugel deshalb als arktischen und den der Südhalbkugel als antarktischen Magnetpol.
Geomagnetischer Nordpol
Der geomagnetische Pol ist nicht dasselbe wie der magnetische Pol, sondern bezeichnet einen theoretischen Punkt, der aus den magnetischen Feldlinien berechnet wird. Dem Konstrukt liegt die Annahme zugrunde, dass sich im Erdmittelpunkt ein unendlich kleiner Stabmagnet befindet. Die geomagnetischen Pole stellen die beiden Punkte dar, an denen sich die Achse des Stabmagneten mit der Erdoberfläche schneidet.
Bedeutung haben die geomagnetischen Pole als Referenzpunkte geomagnetischer Koordinatensysteme.
Himmelsnordpol und weitere Pole
Von Bedeutung für die astronomische Navigation sind die Himmelspole. Diese liegen dort, wo eine verlängerte Erdachse eine geozentrische Himmelskugel durchstoßen würde. Die Himmelskugel ist lediglich ein fiktives Konstrukt, das der Berechnung von Koordinaten der Himmelskörper in einem äquatorialen Koordinatensystem dient. Der Himmelsnordpol (NCP, north celestial pole) befindet sich etwa 0,7° vom Polarstern entfernt.
Ergänzt werden kann die Liste durch einige weitere Definitionen von Polen (“Pol der Unzugänglichkeit”, “Kältepol”), die aber trivial sind und hier keine Rolle spielen.
Wo geht es hier zum Nordpol?
Die Nordrichtung kann auf der Erde mit drei Mitteln bestimmt werden: mithilfe von Kompass, Sternen und Navigationssatellitensystemen (z. B. GPS, Galileo, GLONASS). Alle drei Methoden sind allerdings fehlerbehaftet bzw. stehen in bestimmten Situationen nicht zur Verfügung. Wissenschaftler haben sich daher auf die Suche nach weiteren Methoden gemacht und sich dabei von der Natur inspirieren lassen. Genauer gesagt von Ameisen und Zugvögeln.
Viele Insekten können linear polarisiertes Licht nach seiner Polarisationsrichtung unterscheiden und nutzen diesen Effekt, um sich zu orientieren. Zugvögel kalibrieren ihre magnetischen Kompasse, indem sie die Himmelsrotation in der Nacht beobachten.
Wie im Magazin PNAS (Proceedings of the National Academy of Sciences of the USA) veröffentlicht, hat ein Team der Universität Aix-Marseille eine optische Methode entwickelt, um sowohl die rechtweisende Nordrichtung als auch die geografische Breite des Beobachters zu bestimmen. Hierfür ist nur die Beobachtung der Polarisation des Sonnenlichts erforderlich.
Ihr System tauften sie auf den Namen SkyPole.
SkyPole
Physikalische Grundlagen
Wenn Sonnenstrahlen in die Erdatmosphäre eintreten, werden sie dort durch kleine Partikel, die sich in der Atmosphäre befinden, reflektiert (Rayleigh-Streuung). Zusätzlich werden sie auch noch polarisiert, d. h., wenn sie auf die Luftmoleküle auftreffen, von diesen in eine Vorzugsrichtung ausgesandt. Diese Richtung hängt davon ab, woher der Lichtstrahl ursprünglich kommt.
Die Polarisation des Himmelslichts ist meist linear und kann durch zwei Parameter beschrieben werden: den Polarisationswinkel (AoLP) und den Polarisationsgrad (DoLP). Der DoLP ist definiert als das Verhältnis der Intensität des polarisierten Lichts und der Gesamtlichtintensität.
Von Bedeutung ist nun die Symmetrieeigenschaft des DoLP (radiale Symmetrie in Bezug auf den Sonnenvektor; Ebenensymmetrie in Bezug auf die Ebene senkrecht zum Sonnenvektor). “Verschiebt” sich die Position der Sonne, bleibt das DoLP-Muster aufgrund dieser Symmetrie an zwei Achsen unverändert.
Aus dem DoLP kann nun die Position des Himmelsnordpols (NCP) bestimmt werden. Aus den NCP-Koordinaten wiederum lässt sich die geografische Position des Beobachters ableiten.
In folgendem Experiment wird die Schwingungsebene von polarisiertem Licht durch Streuung in einer trüben Flüssigkeit sichtbar gemacht. Quelle: Technische Informationsbibliothek – German National Library of Science and Technology (TIB), Serie Physikalische Experimente nach Robert Wichard Pohl (1884–1976).
Vorgehensweise
Die Forscher nahmen DoLP-Muster zu verschiedenen Zeitpunkten (Sonnenständen) auf und berechneten die Differenz zwischen den Bildern. Daraus leiteten sie die Lage der beiden Symmetrieachsen ab.
Im geozentrischen Modell der Himmelskugel “dreht” sich die Sonne um den Himmelsnordpol.
Im Himmelsnordpol ist der Streuwinkel γ konstant, und somit ist auch der DoLP zu jeder Tageszeit konstant. Der Himmelsnordpol befindet sich also zu jeder Zeit auf dem Radialinvarianzkreis.
Werden nun Bilder der Polarisationsmuster zu verschiedenen Zeiten aufgenommen und miteinander verglichen, lässt sich aus dem Schnittpunkt der radialen Invarianzachsen auf die Lage des Himmelsnordpols schließen. Aus der Position des Himmelsnordpols ergibt sich der Breitengrad, auf dem sich der Beobachter in Bezug auf rechtweisend Nord befindet (erste Standlinie); mit dem Azimuth des Himmelsnordpols erhält man die zweite Standlinie – und im Schnittpunkt der Standlinien steht der Beobachter.
Abbildung 1 aus [1]
(A) Streuwinkel γ, Azimut αP eines Punktes P und Höhe θS der Sonne S. Die Parameter sind auf den Beobachter O zentriert. Dunkelblau entspricht DoLP nahe Null und gelb den maximalen DoLP-Werten. (B) Sonnenbahn, zentriert auf einen Beobachter O auf dem Breitengrad ϕ. NCP ist der Himmelsnordpol. Die Sonne bewegt sich auf einer Ebene, die senkrecht zum Beobachter-NCP-Vektor steht. (C) Invarianzachse auf der Himmelskugel. Vergleich zwischen den simulierten und den analytischen Lösungssätzen. Der grüne Kreis ist der radiale Invarianzkreis; der rote Kreis ist der aus analytischen Berechnungen berechnete ebene Invarianzkreis. Die farbige Halbkugel ist die simulierte absolute Differenz zwischen zwei DoLP-Mustern, die mit den Sonnenpositionen S1 und S2 zu zwei verschiedenen Zeitpunkten verbunden sind. Dunkelblau entspricht den Werten nahe Null. Der rote Punkt ist der NCP. (D) Methode zur Ermittlung des NCP auf der Grundlage des DoLP-Musters des Oberlichts. In der ersten Zeile sind die DoLP-Muster zu vier verschiedenen Zeitpunkten dargestellt. Anschließend wurden die absoluten Unterschiede zwischen den DoLP-Mustern berechnet, was die zweite Reihe ergibt. Auf diese Bilder wurde dann ein Schwellenwert angewendet, und die Ergebnisse sind in der dritten Reihe dargestellt. Zuletzt wurden die Binärbilder summiert, und der NCP wurde dann am Schnittpunkt der radialen Invarianzen ermittelt.
Nutzen
SkyPole könnte in Geolokalisierungssysteme implementiert werden, um Navigationsinformationen in Umgebungen zu liefern, in denen kein GPS verfügbar ist, da es nur Polarisationsbeobachtungen des Himmelslichts erfordert.
Quellen:
[1] Thomas Kronland-Martinet et al. (2023): SkyPole — A method for locating the north celestial pole from skylight polarization patterns. PNAS, Vol. 120, No. 30. https://doi.org/10.1073/pnas.2304847120
(Der frei zugängliche Artikel unterliegt der Lizenz https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0).
[2] Technische Informationsbibliothek – German National Library of Science and Technology (TIB), https://av.tib.eu