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Vendor Managed Inventory

Die neue Offenheit – oder

Was bringt Ihnen Vendor Managed Inventory?

“Früher dachte ich in Jahren, heute ist mein Zeitrahmen auf Monate geschrumpft.”

Den Satz können wohl viele Logistikleiter unterschreiben. Und Sie? In welchem Zeitrahmen planen Sie Ihre Logistikprozesse?

Sicherlich werden Sie sich in der Aussage wiederfinden, denn wir befinden uns mitten in der digitalen Transformation – und die fordert nicht nur neue Managementkonzepte, sondern vor allem Agilität. Die Agilität ist sozusagen der Schlüsselfaktor im digitalen Zeitalter. Agilität als Haltung, als Unternehmenskultur, die in allen Unternehmensbereichen realisiert werden muss. Und zu Ihren konkreten Aufgaben als Logistikleiter gehört es, ein agiles Warenmanagement zu sichern.

Um der Forderung nach einem agilen Warenmanagement zu entsprechen, setzen Logistikmanager auf das Supply Chain Management (SCM), also die Optimierung der Versorgungskette von A bis Z. Das SCM bedient sich vielfältiger technologisch wie auch organisatorisch geprägter Werkzeuge. Ein wirkungsvolles, aber noch zu wenig beachtetes Werkzeug des SCM ist das Vendor Managed Inventory (VMI): Hinter dem Begriff steht ein moderner, operativer Stellhebel, um den Warenfluss zwischen zwei Unternehmen zu verbessern.

Wie können Sie von Vendor Managed Inventory profitieren?

Beispielsweise, indem VMI Ihnen eine hohe Produktverfügbarkeit bei einem geringen Lagerbestand sichert – und darüber hinaus Ihre Prozesskosten senkt.

Das klingt zu gut um wahr zu sein? Im Gegenteil, das Szenario ist äußerst realistisch. Lesen Sie weiter.

Woher kommt der Begriff VMI?

Der Grundgedanke im Zeitalter der Digitalisierung ist die unternehmensübergreifende Optimierung, also die Steuerung der Logistik über die Unternehmensgrenzen hinweg. Die Optimierung ist nicht nur dem Ziel der Kostenreduzierung geschuldet, sondern soll insbesondere Transparenz über alle Prozessschritte verschaffen. Digitale Prozesse, die auf qualitativ hochwertigen Daten beruhen, machen Ihre Supply Chain vom Zulieferer bis zum Endkunden sichtbar und helfen Ihnen, proaktiv die Kontrolle übernehmen zu können. Die Vernetzung der Unternehmen entlang der Supply Chain funktioniert allerdings nur in Verbindung mit neuen Konzepten zur Planung und Realisierung von Informations- und Materialflüssen. In der Logistik gehören dazu Managementkonzepte wie SCM, ECR, VMI.

Bei näherem Hinsehen zeigt sich allerdings, dass diese gar nicht so neu sind. Das VMI-Konzept beispielsweise, wurde bereits in den 1980er Jahren in den USA entwickelt. VMI hat noch einen Vorläufer: das Quick Response-Konzept. Quick Response ist eine Strategie, die auf die Reduktion der Durchlaufzeiten ausgerichtet ist. Unternehmen sollen damit schneller auf Schwankungen in der Nachfrage reagieren können.

Ein wesentliches Element der Quick-Response-Strategie ist das gemeinsame Management der Lieferkette, bei demalle an der Lieferkette beteiligten Unternehmen einbezogen werden. Vendor Managed Inventory legt den Fokus zwar “nur” auf den Warenfluss zwischen zwei Unternehmen, jedoch geht das Konzept mit seinem Ansatz noch einen Schritt weiter als Quick Response:

Es ist der Lieferant, der Vorratsmenge und Nachfüllzeitpunkt seiner Waren bei den Abnehmern kontrolliert.

Vendor Managed Inventory im Detail

Vendor Managed Inventory heißt in der Übersetzung nichts anderes als „herstellergesteuertes Bestandsmanagement“; und damit ist der Grundgedanke des Prinzips auch bereits beschrieben. Vendor Managed bedeutet demnach nicht anderes, als dass der Verkäufer (Hersteller) die Warenbestände seines Kunden (Händlers) managt.

Ihre Mitarbeiter gehen also nicht mehr mit Klemmbrett und Stift durch das Warenlager und machen eine Liste mit den Artikeln, die Sie demnächst nachzubestellen haben, denn Ihr Lieferant übernimmt die Nachschubplanung. Mit anderen Worten: Er kümmert sich selbst darum, was er Ihnen wann liefern muss.

Manchmal wird die Warenversorgung unter VMI noch mit traditionellen Methoden gelöst, das heißt, der Lieferant besucht seinen Kunden regelmäßig, schaut nach, was der braucht, und füllt gleich die beim letzten Besuch ermittelten Fehlbestände auf. In der Regel versteht man unter VMI jedoch ein automatisiertes System, das nicht nur Mindestbestände selbständig erkennt, sondern dem Lieferanten darüber hinaus auch Verbrauchs- oder Abverkaufszahlen, welche dieser für die Kalkulation seiner Lieferung benötigt, elektronisch übermittelt. Bei dieser zeitgemäßen Version von VMI findet der Datenaustausch normalerweise täglich statt. Dadurch kann Ihr Lieferant schnell auf Bedarfsschwankungen reagieren, während Sie Ihre Sicherheitsbestände nur einmal vorhalten müssen. Ihr Lager verschlankt. Ein Nebeneffekt ist, dass sich die Häufigkeit der Produktanlieferungen erhöht. Für Ihren Zulieferer, der mehrere Kunden beliefert, ist dies aber durchaus vorteilhaft, da er seine Produktions- und Transportressourcen besser nutzen und dadurch seine Kosten senken kann.

Sicher wird Ihnen bereits noch etwas anderes aufgefallen sein: Durch das VMI bekäme der Lieferant einen permanenten Einblick in Ihre aktuellen Lagerbestände bzw. Ihre geplante Verkaufsmaßnahmen. Und das ist der springende Punkt. Vertrauen ist eine Grundvoraussetzung, wenn Sie mit Ihrem VMI Projekt Erfolg haben wollen.

Warum sollten Sie VMI einführen?

In dem Zusammenhang mit der Optimierung der Lieferkette (SCM) ist oftmals die Rede vom Bullwhipp-Effekt(„Peitscheneffekt“). Viele SCM-Maßnahmen zielen darauf ab, diesen Effekt einzudämmen.

Der Bullwhipp-Effekt bezeichnet ein Aufschaukeln der Nachfrage, das heißt, eine kleine Änderung der Nachfrage am Ende der Wertschöpfungskette (z. B. Einzelhandel) verursacht große Schwankungen der Bestellmengen auf den vorherigen Stufen. Grafisch dargestellt ähnelt solch eine Kurve den Schwingungen einer Peitsche. Wenn sich die Peitsche richtig aufgeschaukelt hat, kann es sogar zu Lieferengpässen oder zu fehlender Nachfrage kommen. Dieser Effekt ist meist durch zeitverzögerte Informationsflüsse, beispielsweise die verzögerte Weitergabe von Bestellungen an den Lieferanten verursacht, aber auch lange Auftragslaufzeiten und schubweise Bestellungen tun ihr übriges.

Das Problem, vor dem Sie stehen ist, die Lager-, Transport- und Produktionskapazitäten an die Schwankungsbreite anzupassen. Ihr Ziel wird also ein dem Absatz entsprechender, gleichmäßiger Warennachschub sein. Diesen können Sie mit dem VMI realisieren.

Allerdings eignet sich Vendor Managed Inventory nicht für alle Produktarten. Sie müssen vor der Implementierung von VMI Ihr Sortiment zunächst daraufhin analysieren, für welche Bestandsposten das VMI überhaupt in Frage kommt. Zu den geeigneten Produkten zählen insbesondere standardisierte Produkte, Schnelldreher und CX-Produkte. Wichtig ist auch ein kontinuierlicher Bedarf. Wenn Sie überwiegend Saisonware vertreiben, würde sich das VMI eher nicht lohnen.

Technische Lösungen für die Implementierung eines VMI

Der VMI-Prozess basiert auf einer leistungsfähigen Software, die den Informationsaustausch zwischen Abnehmer und Lieferant ermöglicht. Üblicherweise wird das über die Anbindung des Lieferanten an Ihr ERP-System realisiert. In der Vergangenheit setzte das voraus, dass auch der Lieferant ein ERP-System im Einsatz hat. Per Web-Frontend können inzwischen auch kleinere Lieferanten unabhängig vom genutzten ERP-System angebunden werden.

Üblicherweise werden Ihre Daten via standardisierter Schnittstellen in das ERP-System Ihres Lieferanten übertragen. Ein Beispiel für einen branchenübergreifenden Standard, mit dem Unternehmen untereinander Informationen an einheitlichen Schnittstellen austauschen können, ist EDIFACT (Electronic Data Interchange for Administration, Commerce and Transport).

Bei einigen IT-Lösungen ist die Software für Vendor Managed Inventory als Zusatzmodul (VMI-Plug-In) in das ERP-System eingebunden. Solch ein VMI-Tool bietet dem Lieferanten beispielsweise die Funktionalität, Kundendaten auszuwerten, Absätze zu prognostizieren und Beschaffungsvorschläge abzuleiten. Der Lieferant könnte Ihre Daten jedoch auch manuell in die VMI-Applikation einspielen. Wichtig ist vor allem, dass das ERP-System Ihres Lieferanten und das ERP-System Ihres Unternehmens in der Lage sind, problemlos miteinander zu kommunizieren.Informationen könnten beispielsweise in einer XML-Datei übermittelt werden, um sicherzustellen, dass beide Seiten den Inhalt der Datei vollautomatisch mit einem Programm einlesen können.

Je nach Größe des Unternehmens würde eine VMI-Integration mit externen IT-Dienstleistern oder mit Ihrer internen IT-Abteilung realisiert. Inzwischen sind verschiedene Lösungen speziell für KMU erhältlich, die es ermöglichen, VMI-Prozesse über einfach zu bedienende WEB-Oberflächen zu steuern.

Beispiele aus der Praxis

Zu den Vorreitern des VMI gehören die Unternehmen Wal-Mart und Procter&Gamble, die sich bereits seit den 80-er Jahren dieses Werkzeuges bedienen. Inzwischen lassen auch Porsche, Bayer oder Rewe den Lagerbestand von ihren Lieferanten lenken.

Das Unternehmen Twentieth Century Fox Home Entertainment Germany wickelt beispielsweise sämtliche Datenströme über EDI ab. Der VMI-Prozess selbst wird durch Scan-Vorgänge an den Kassen der Filialen veranlasst. Für jede Filiale ist die minimale und maximale Lagerreichweite pro Titel definiert. Aus historischen Daten werden Vorhersagen für den zukünftigen Bedarf abgeleitet, während die Reichweite neuer Titel anhand von aktuellen Absätzen vergleichbarer Titel kalkuliert wird. Sämtliche Daten laufen in einer Datenbank zusammen, von der aus Performance-Berichte generiert werden.[1]

Ein weiteres Beispiel für ein erfolgreiches Vendor Managed Inventory ist die Zusammenarbeit des Unternehmens L’Oréal und dem Drogeriemarkt dm. L’Oréal ersetzte das alte System, bei dem die Lieferung nur bei Kundenauftrag erfolgte, durch VMI für standardisierte Produkte. Der Kosmetikhersteller beliefert die dm-Filialen nun anhand aktueller Bestands- und Abverkaufsraten. Dadurch konnten nicht nur die Lagerbestände bei dm reduziert, sondern die Planung der eigenen Herstellung und Lagerhaltung verbessert werden. Als weiterer Effekt stieg die Kundenloyalität, da Out-of-Stock-Situationen mit VMI beinahe vollständig eliminiert wurden.[2]

Doch nicht nur die großen Player, sondern auch kleinere und mittlere Unternehmen können das Konzept des VMI erfolgreich zur Lieferanten- oder Kundenbindung einsetzen. Obwohl inzwischen passgenaue IT-Lösungen für KMU auf dem Markt sind, wird VMI jedoch von den kleineren und mittleren Unternehmen zu selten genutzt. Dadurch entgehen diesen Unternehmen nicht nur die offensichtlichen Vorteile des Konzepts, sondern sie verschaffen ihren Konkurrenten, die VMI nutzen, einen strategischen Vorteil.[3] Der Hinderungsgrund ist wohl das mangelnde Vertrauen zwischen den Unternehmen, da VMI bedeutet, sich vom Lieferanten “in die Karten” schauen zu lassen.

Auf einen Blick

Vorteile des VMI:

  • verbesserter Kundenservice
  • niedrigere Transportkosten
  • verbesserte Lieferfähigkeit des Lieferanten
  • schnelle Reaktion auf Bedarfsschwankungen
  • Ihr Lagerbestand reduziert sich
  • verringerte Vertriebskosten
  • zeitaufwendige Bestell- und Abwicklungsarbeiten entfallen
  • ein engeres und dadurch performanteres Lieferantenverhältnis

Nachteile des VMI

  • hoher Automatisierungsgrad und daher hohe Investitionskosten
  • hohe Kosten für die Schulung Ihrer Mitarbeiter
  • funktioniert nicht zwangsläufig mit Ihrem gesamten Sortiment
  • Sie geraten in größere Abhängigkeit vom Lieferanten
  • Ihr Lieferant bekommt tiefe Einblicke in Ihr Unternehmen
  • bei Lieferengpässen hat der Lieferant üblicherweise Konventionalstrafen an Sie zu zahlen

Fragen, die Sie vor Einführung des VMI klären sollten

  • Ist Ihr Unternehmen bereit für VMI?
  • Welche Vorteile können sich aus VMI ergeben?
  • Ist das Produktportfolio Ihres Unternehmens überhaupt für VMI geeignet?

Fazit

VMI ist eine Art des Outsourcings, die nicht nur großen, sondern auch kleinen und mittelständischen Unternehmen ein erhebliches Potenzial zur Kostensenkung bietet.

Indem Sie sich mit dem Lieferanten austauschen, können Sie mit den neu gewonnenen Informationen Ihre Supply Chain optimieren. Insbesondere die vollautomatisierten Bestellprozesse zwischen Händlern und Lieferanten gehören zu den schnellsten und bequemsten Methoden, die Supply Chain wirtschaftlich zu managen. Aktuelle Softwareanwendungen und die Kommunikation über das Internet ermöglichen es, dass Unternehmen über ihre Unternehmensgrenzen hinweg reibungslos zusammenarbeiten und das VMI realisieren können.

Die Voraussetzung ist jedoch eine stark verbesserte Kommunikation zwischen den Unternehmen. Das bedeutet im Umkehrschluss aber auch, dass VMI nicht funktionieren wird, wenn die beteiligten Unternehmen nur vom Know-how des Partners profitieren, selbst aber keine Informationen preisgeben wollen.

Quellenverzeichnis

[1] Hartmut Werner (2017): Supply Chain Management. Grundlagen, Strategien, Instrumente und Controlling

[2] Iris Hausladen (2011): IT-Gestützte Logistik. Systeme – Prozesse – Anwendungen

[3] Björn Georg (2006): CPFR und elektronische Marktplätze. Neuausrichtung der kooperativen Beschaffung